Auch die Selbstbewirtschaftungsklausel in BVVG-Verträgen ist angreifbar

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Bauernzeitung 27/2020

Nachdem der BGH die Windkraftklausel gekippt hat, wackelt jetzt auch die Selbstbewirtschaftungsverpflichtung in den BVVG-Verträgen. Das Landgericht Berlin hat jüngst ein seit Langem erwartetes Urteil zu Lasten der BVVG gefällt, das für viele Landwirte einen großen Wert haben könnte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die BVVG wird mit Sicherheit Rechtsmittel einlegen. Eine letztinstanzliche Entscheidung kann noch Jahre dauern.

Glücklich schätzte sich der Landwirt, der als Pächter von der BVVG sein Land verbilligt erwerben konnte. Das Ausgleichsleistungsgesetz räumte ihm ein Erwerbsrecht zu einem um 35 % verbilligten Kaufpreis ein. Der Haken daran: er unterwarf sich diversen Beschränkungen. Die BVVG behielt sich vor, zunächst 20 und jetzt 15 Jahre nach dem Kauf den Käufer zu überwachen. Unter anderem sollte der Landwirt für 15 Jahre verpflichtet sein, die gekaufte Fläche selbst zu bewirtschaften. Das bedeutet, er darf für diesen Zeitraum zum Beispiel die gekaufte Fläche nicht verpachten oder zur Nutzung in eine GmbH einbringen. Dieses Verbot wurde von der BVVG seit nunmehr über 25 Jahren propagiert. Aber gab und gibt es dieses Verbot in dieser Form tatsächlich?

Das Landgericht Berlin hat diese Verpflichtung geprüft und kommt zum Ergebnis, dass die Selbstbewirtschaftungspflicht dem Käufer nicht verbietet, aus der pachtenden Gesellschaft auszuscheiden und die Flächen verpachtet zu lassen. Diese Feststellung betrifft den konkret geprüften Fall, gilt aber für alle Kaufverträge nach dem Ausgleichsleistungsgesetz. Die BVVG hat den Käufern in vielen tausend Fällen den gleichen Formularkaufvertrag aufgedrängt. Und in diesem Formularkaufvertrag ist die Klausel, die vermeintlich den Käufer zur Selbstbewirtschaftung verpflichtet, in seinem Sinne auszulegen. Der Käufer kann deshalb aus der pachtenden Gesellschaft ausscheiden und die Fläche weiter verpachten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die BVVG wird mit Sicherheit Rechtsmittel einlegen. Eine letztinstanzliche Entscheidung kann noch Jahre dauern.

Das Landgericht Berlin hat hinterfragt, wo denn eigentlich diese vermeintliche Pflicht zur Selbstbewirtschaftung geregelt ist. Im Ausgleichsleistungsgesetz steht dazu nichts. Nur die Flächenerwerbsverordnung erlaubt der BVVG ein Rücktrittsrecht für den Fall der Aufgabe der Selbstbewirtschaftung im Kaufvertrag vorzusehen. Der von der BVVG vorgegebene und nicht verhandelbare Grundstückskaufvertrag war immer der gleiche Formularvertrag. Deshalb gilt das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Auf vielen Seiten regelt die BVVG zunächst, dass alle Rechte und Vorteile bei ihr liegen. Einen Vertragspassus, dass der Käufer zur Selbstbewirtschaftung verpflichtet ist, findet sich auch dort zunächst nicht. Nur in einem leicht zu überlesenden Halbsatz findet sich ein Hinweis auf ein Rücktrittsrecht der BVVG. Dieser Hinweis ist jedoch sehr unklar gefasst.

Das Landgericht hat überzeugend erkannt, dass die BVVG eine Verpflichtung zur Selbstbewirtschaftung entsprechend eindeutig hätte formulieren müssen. Die verwendete Klausel ist dementgegen derart unklar, dass sie für einen juristischen Laien nicht zu verstehen ist. Das geht zu Lasten der BVVG als Verwender dieser Formularklausel und führt dazu, dass der Käufer einer an eine Gesellschaft verpachteten Fläche auch weiter verpachten darf und dabei nicht Gesellschafter der pachtenden Gesellschaft bleiben muss.

Das ist eine gute Nachricht für viele Betroffene. Wer seit den 1990er Jahren seine Flächen bewirtschaftet, hat häufig einfach nicht mehr vor Augen, dass die BVVG geduldig darauf lauert, sich die von ihm gekauften Flächen zurückzuholen. Viele Käufer sind mittlerweile alt oder krank und mussten deshalb ihre landwirtschaftliche Tätigkeit aufgeben. Viele haben in den letzten Jahren dabei die von der BVVG erworbenen Flächen verloren, die eigentlich deren Alterssicherung sein sollten. Sie wussten schlicht nicht, dass sie auch noch nach Jahrzehnten der Selbstbewirtschaftung nicht verpachten dürfen, oder besser: vermeintlich nicht verpachten dürfen. Die BVVG prüft zum Ende der Zweckbindungsfrist durchgängig die Einhaltung der Selbstbewirtschaftung. Wer diese vor Ablauf der 15 Jahre aufgegeben hat, wurde von der BVVG gezwungen, die Flächen an die BVVG zurück zu übertragen oder sich durch die Zahlung der Differenz des ursprünglichen Kaufpreises zum aktuellen Verkehrswert „freizukaufen“.

Wer als Gesellschafter gekauft hat, in diese Falle gegangen ist und an die BVVG seine Flächen zurück übertragen oder nachgezahlt hat, sollte im Ergebnis dieses Urteils, auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist, jetzt von der BVVG die Rückabwicklung dieser Zahlung oder Rückübertragung verlangen. Die BVVG wird zwar selbstverständlich dem nicht folgen, bevor ein rechtkräftiges Urteil vorliegt. Das kann lange dauern. Jedenfalls sollten die Betroffenen aber verhindern, dass der Anspruch gegen die BVVG verjährt, bevor eine rechtskräftige Entscheidung ergeht.

Die BVVG hat bereits bei den Zahlungen für Windkraftstandorte die Taktik des VW-Konzerns im Abgasskandal befolgt. Sie hat zunächst über mehrere Jahre das gerichtliche Verfahren betrieben, um dann, als der BGH dem Käufer Recht gab, der Rückforderung für einen Großteil der bereits erhaltenen Zahlungen die Verjährung entgegenzuhalten. Damit hat sie viele Millionen Euro „verdient“, die den Landwirten zustehen. Deshalb sollte bereits jetzt jeder gegen die BVVG aktiv werden, der von der BVVG wegen einer angeblichen Verletzung der Selbstbewirtschaftungsverpflichtung in Anspruch genommen wurde.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Agrarrecht Franz-Christoph Michel, Templin

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